Trauerrede - Erinnerungen an Micha

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Trauerrede

Rede zur Trauerfeier von Michael Häßlers Tod
von seinem Freund Ulrich Thoma

Ich war damals 19 Jahre alt im Jahre 1969, als ich mit Micha in der Motzstraße in der Nähe des
Viktoria-Luise-Platzes die erste Pizza meines Lebens in einem kleinen Kellerlokal aß. Sie schmeckte köstlich.
So wie mit diesem gemeinsamen Erlebnis der ersten Pizza hat mein Freund Michael Häßler mein Leben über viele Jahre bereichert.
Uns verband sofort bei meinem Studienbeginn die emotionale Nähe an der Pädagogischen Hochschule mit meinem Freund.
Wir studierten gemeinsam in verschiedenen Seminaren. Wir übersetzten aus einem hochwissenschaftlichen geographischen Werk über die Agglomeration von Paris französische Texte über die beiden Bezirke Wattigny und Bobigny und verzweifelten fast daran.
Dann gingen wir auf Exkursion in die Normandie und nach Paris.
Wir machten private Reisen, fuhren in den Tagebau bei Helmstedt, zum Steinhuder Meer, wohnten in Jugendherbergen und trampten durch die DDR in den Westen. Wir spielten am Nollendorfplatz Billard.
Er zeigte mir, wie man mit einem Kicker umgeht.
Wir tranken zusammen, er übernachtete in meinem kleinen Zimmer bei meiner Wirtin. Es war eine schöne und junge Zeit.
Unsere Freundschaft dauerte damals 2 Jahre.
Warum nur 2 Jahre?
Ganz einfach. Denn irgendwann begannen wir, uns auf die Suche nach einer Lebensgefährtin zu machen.
Ins Riverboat am Fehrbelliner Platz.
Dann geschah es endlich.
Micha verliebte sich in Regina. Seine erste Freundin Regina.
Sie lebten gemeinsam und liebten sich. Glückliche Jahre.
Bis es dann irgendwann wieder auseinanderging, denn Micha suchte sich schon damals immer Gefährtinnen aus, die in mancher Hinsicht seiner Mutter ähnelten. Sie waren streng, bestimmend und das zog ihn an und irgendwann konnte er es dann nicht mehr mit ihnen ertragen.
Unsere Wege gingen auseinander. Im Abstand von mehreren Jahren trafen wir uns immer wieder und merkten Beide, dass es nicht passte.

Micha ging durch schwere Zeiten.

Als Kind hatte er – wie auch seine große Schwester Barbara - unter der problematischen Beziehung und Trennung seiner Eltern gelitten.

Sein Vater Kurt Häßler kam als junger Mann nach Berlin. Er spielte Mandoline und eroberte das Herz seiner Frau. War Regierungsinspektor. Micha wurde am 20.10.1948 geboren.

Sein Vater Kurt Häßler muss auch ein sehr sensibler Mensch gewesen sein, denn von Micha habe ich gelernt, dass solch ein Mensch oft sein seelisches Leid nur ertragen kann, wenn er sich betäubt.

Die Kinder zusammen mit ihrer Mutter im Schlafzimmer eingeschlossen. Vor Angst zitternd ertragen sie gemeinsam, wie der Vater volltrunken von außen mit einer Axt versucht, die Tür einzuschlagen.

Dann die Trennung der Eltern.
Schuldig geschieden. Steht auf dem Dokument über seinen Vater, was mir Micha zeigte. Das war damals so.
Dann die Nachricht vom grausamen Tode des Vaters.
Vielleicht hat Michas Mutter ihn nachher derart streng und rigide erzogen, weil sie hoffte, dass es ihm dadurch besser gehen würde.
Es ist schwer zu sagen und es steht uns nicht zu, darüber zu urteilen.

Viele Tage quälte sie ihn mit Schweigen, wenn er eine ihrer Regeln aus Versehen verletzt hatte. Er sehnte sich nach Liebe.
Seine Hilfe fand er in der Schule, im Besuch des Gymnasiums. Der Zuwachs von Wissen, die Nähe zu geliebten Lehrern, das half und stützte ihn neben seinem schwierigen Elternhaus.

Micha versuchte Anfang der 70er Jahre, ohne dass ich es damals merkte, seine Sensibilität und sein Leid heimlich zu betäuben. Das kostete ihn, als er in seinen 30ern war, fast das Leben. Wir hatten damals keinen Kontakt. Er wurde aus seiner Wohnung gerettet und war eine Zeit lang in einer Klinik. Als die Halluzinationen langsam mit der Nüchternheit verschwanden, beschloss Micha, trocken zu bleiben. Das ist jetzt 38 Jahre her. Er blieb es bis heute, denn er war meistens in solchen Dingen sehr konsequent. Jedes Jahr feierte er den Geburtstag seines neu gewonnen Lebens.

Er half den Leuten in seiner Gruppe, die er regelmäßig wöchentlich bis vor kurzem besuchte, so lange, bis er nicht mehr hinkam, trocken zu werden oder zu bleiben.

Er traf jede Woche seinen Kreis von Freunden, mit denen er sich über Bücher austauschte, denn er liebte das Lesen und auch das Schreiben.
Besonders interessierte er sich für die Ungerechtigkeit gegenüber Menschen, denen Schreckliches widerfahren ist.
Im Mittelpunkt stand für Micha immer die Beschäftigung mit der Verfolgung der Menschen im 3. Reich und ebenso die deutsche Teilung und das Regime der DDR mit allen Auswirkungen auf die Menschen und ihre Denkweise. Menschen, die unter diesem Einfluss aufgewachsen waren zogen ihn magisch an. Auf der anderen Seite konnte er in seinen Beziehungen manche Züge und Eigenarten von ihnen nur schwer ertragen.

Auch im Beruf hat Micha es sich sehr schwer gemacht. Er arbeitete in Tag- und Nachtschichten sein ganzes Leben lang im Jugendnotdienst. Seine Nöte vergaß er über seiner schweren Arbeit oft. Er lernte viel dazu und bildete sich fort, wurde ein Spezialist, übte Respekt und forderte ihn auch von seinen Mitmenschen.

Vor 20 Jahren begann unsere Freundschaft wieder aufzublühen und wir trafen uns fast jede 2. Woche zu unseren Spaziergängen im Tiergarten nach einem Kaffee am Neuen See, im Englischen Garten, im Michaelsheim und an anderen Orten.
Er konnte sehr geduldig sein, gut erzählen und auch zuhören, war immer interessiert an dem Leben der anderen und unsere Nähe und Freundschaft bedeutete für mich die von mir ersehnte Tiefe einer Beziehung zu einem männlichen Freund.
Auf der anderen Seite war seine plötzliche Ungeduld und Sturheit und Herrschsucht in besonderen Situationen manchmal nicht leicht zu ertragen.
Er lernte viel und war ein Lehrer.
Micha konnte zuhören und schätzte es, wenn man ihm geduldig zuhörte.
Er war glücklich, nach vielen Jahren endlich wieder die Nähe zu seiner Schwester gefunden zu haben, die ebenso wie er, unter den schweren Zeiten der Jugend litt.

Nach vielen Beziehungen, in die er all seine Liebesfähigkeit hineingab, löste er schließlich auch seine letzte Beziehung, weil er die Enge nicht mehr ertragen konnte. Die Enge und Nähe, die er jedoch immer vorher zu jedem Menschen gesucht hat.
Nach diesem Entschluss der Trennung begann seine Krankheit im Jahre 2016 schon kurz nach dem Beginn seines Lebens als Rentner.

Ganz langsam kam sie angeschlichen. Bewegungseinschränkungen. Sprachstörungen leichter Art. Schwindelgefühle.
Es dauerte nur wenige Monate und nach einem Krankenhausaufenthalt stand die Diagnose fest: Progrediente Ataxie.
Er erklärte mir die Krankheit. Eine schnell oder langsam fortschreitende nicht behandelbare Schrumpfung des Kleinhirns, die zu Bewegungsstörungen und Sprachstörungen führt. Abhängig vom Menschen. Schneller oder langsamer.

Erst kam der Gehstock, mit dem wir gemeinsam unsere Wege durch den Tiergarten zum Café am Neuen See und in den Englischen Garten machten. Genauso wie fast regelmäßig alle 2 Wochen seit über 20 Jahren.
Dann gingen wir nicht mehr bis zum Englischen Garten. Bald kam der Rollator.
Micha stürzte, als er zum Vogelgatter im Zoo hinaufblickte und fiel gegen den Zaun der Zooumrandung.
Dann konnte Micha nicht mehr die Treppen aus dem 3. Stockwerk in Neukölln hinunter. Er war in der Wohnung eingesperrt. Täglich „Meals on Wheels" zum Mittagessen. Sein Sohn Christian kam oft und unterstützte ihn aus vollen Kräften.
Wir suchten eine Wohnung. Ich telefonierte und schließlich wurde die neue Wohnung in der Seesener Straße 30a angemietet.
Dann kam der elektrische Rollstuhl und ich konnte den ersten Ausflug mit ihm machten. Mobilität war wieder da. Wir fuhren zum Penny Markt und übten einkaufen. Wir fuhren zu unserem geliebten St. Michaels Heim mit dem elektrischen Rolli und tranken dort unseren Kaffee.

Schon bald drängte es Micha immer mehr nach völliger Versorgung.
Der Besuch in einer WG, die nur über 3 Stufen erreichbar war, hätte ihn die neu gewonnene Mobilität gekostet. 
Ich riet ab, Freundinnen und andere Leute auch.

Im Januar dann der Blitzumzug nach Freedersdorf in den Schlossgarten des Katharinenhofes. Ein Seniorenpflegeheim. 
Sein Sohn Christian organisierte und half dabei wieder.

Ich hatte Micha abgeraten. Zu weit draußen von Berlin. Zu entfernt von Freunden und Freundinnen und allen Kontakten.

Am 30. Januar war ich bei ihm in Freedersdorf. Er war nicht glücklich.

Freundliche und hilfsbereite Pflegekräfte. Alte, gebrechliche, teils unter Demenz leidende Menschen. Ein schöner Wald im Winter. Wir fuhren über erdigen Boden. Kein Internet.
Aber er meldete sich schon wieder für einen Besuch im Technik Museum in Schöneberg an. Ausfahrt am 6. Februar 2018.

Ein zweiter Besuch von mir nach langer Autofahrt.
Wir rollen wieder durch den schönen Wald, freuen uns auf den baldigen Frühling.
Micha plant mit mir bei meinem nächsten Besuch mit dem Auto die Gegend besser kennenzulernen.

Das Ende kam plötzlich. Die Nachricht erreichte mich im Haus Bernstein an der Nordsee.
Micha starb in einer Vollmondnacht am Karfreitag des Jahres 2018.

Meine Liebe zu meinem Freund Micha lebt weiter in meinem Herzen.

Micha schrieb mir vor 3 Jahren in seinen Hinweisen für seinen Todesfall

„Mein Leben war schwierig und schön.

Eigentlich waren es zwei Leben.

Ich schlafe jetzt – Ihr alle lebt wohl weiter!“

Berlin, den 31.1.2018 und am 6.4.2018 nach meinem Telefonat mit seiner Freundin Rosi 

Ulrich Thoma


Mein Freund Michael Häßler hat mich im Jahre 2017 gebeten, nach seinem Tode eine Rede über ihn zu halten.
Ich habe versucht, persönliche Inhalte über meinen Freund niederzuschreiben, in der Hoffnung, dass die Menschen, die ihn – wie ich auch – sehr mochten, ihn liebten, eine kleine Erinnerung und vielleicht einen Trost in ihrer Trauer um den Verlust von Micha erfahren werden.


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